Stetiger Anstieg und zu wenig Wohnraum - Landrat Achim Hallerbach warnt vor Kollaps des Systems
Kreis Neuwied. Viel wurde geleistet, jetzt ist auch der Landkreis Neuwied bei der Aufnahme von Flüchtlingen an seine Grenzen gestoßen. „Die Verbandsgemeinden unseres Landkreises sind überlastet, es gibt nahezu keine Kapazitäten mehr. Deshalb ist die Verteilungspraxis an die Kommunen hoch brisant und wir müssen absolut Acht geben, dass unser System nicht kippt“, weiß Achim Hallerbach auch um die Brisanz für das gesellschaftliche Gesamtgefüge.
Vor dem Hintergrund der ab Ende November zu erwartenden Bugwelle des nicht abreißenden Flüchtlingsstroms, sieht der Landrat den Bund dementsprechend in der Pflicht, zeitnah Maßnahmen zu verwirklichen, die kurzfristig zu einer spürbaren Reduktion des Flüchtlingsaufkommens führen.

Die auf der Ministerpräsidenten-Konferenz aktuell erzielte Einigung mit dem Bund zur Finanzierung der Flüchtlings-Kosten sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend weit gefasst. So bleibe die jährliche Fallpauschale pro Asyl-Erstantrag mit 7.500 Euro um 3.000 Euro unter dem von den Ländern sowieso schon knapp kalkulierten Betrag von 10.500 Euro.
Landkreise, Städte und Gemeinden hätten aber steigende und dauerhafte (!) Kosten für Unterkünfte sowie immer höhere Aufwendungen für Gesundheit, Kita, Schule und Integration zu stemmen. „Deshalb bin ich mir mit allen kommunalen Spitzengremien einig, dass die Forderung gegenüber dem Land nach einer Vollkostenfinanzierung sowie einer Finanzierung von Integrationsleistungen aufrechterhalten werden muss“, so der Landrat.
In Rheinland-Pfalz, das lediglich die Erstaufnahme einrichtet und im weiteren Verfahren selbst auch nur vermittelnd bei der Überstellung an die Kommunen tätig ist, beläuft sich die Auslastung mittlerweile auf ein Volumen von nahezu 100 Prozent.
Kommen aktuell noch rund 250 Asylsuchende pro Woche ins Land, wird sich deren Zahl seriösen Schätzungen zufolge in absehbarerer Zeit verdoppeln. Zum Stichtag 17. Oktober hatte das Land dem Kreis über die ADD bereits 802 Personen an die Landkreise übermittelt; im Vergleichszeitraum 2022 waren es 350 Menschen. Gegenwärtig halten sich 989 Flüchtlinge im Kreis Neuwied auf; in diese Zahl sind die Zuweisungen bis 28. November 2023 bereits eingerechnet. Bis Ende des Jahres rechnet der Kreis mit rund 1.100 aufgenommenen Personen. Im Jahr 2022 hat der Landkreis Neuwied bereits über 3.500 Flüchtlinge aufgenommen.
Die Ursache ist nicht allein im Krieg gegen die Ukraine zu suchen, vielmehr stammen die Menschen aus einer Vielzahl auch anderer Nationen. Von den bislang im Jahr 2023 angekommenen 989 Flüchtlingen im Landkreis Neuwied stammen 354 aus der Ukraine und 635 aus anderen Ländern wie Syrien, Afghanistan, der Türkei und Pakistan.
Im Hinblick auf die Gesamtsituation spricht mittlerweile selbst das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von einer sehr dynamischen und schwierigen Lage.
Erschwerend wirkt sich zudem der Mangel an geschultem Personal für die Betreuung der im Landkreis Ankommenden aus; ein Zustand, der vor allem Folgen für sogenannte „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ hat, die seit Anfang November in Rheinland-Pfalz ankommen.
Um die Kommunen zu entlasten, habe das Land Rheinland-Pfalz vor der Zuweisung an die einzelnen Landkreise bislang als Puffer gewirkt. Weil dieser aber zwischenzeitlich nicht mehr greife, sei in der Folge auch die Migration in den Landkreis Neuwied stetig angestiegen.
In der Kreisverwaltung wird damit gerechnet, dass die vorhandenen Unterkunftskapazitäten nur noch bis in den Januar 2024 reichen werden.

Eine weitere Zunahme des Zuzuges ist für unseren Landkreis nicht zu verkraften“, stimmen Landrat Achim Hallerbach und der 1. Kreisbeigeordnete Michael Mahlert nicht nur in Befund und Schlussfolgerung im Hinblick auf die schwierigen Herbst- und Wintermonate überein. Bürgerhäuser und Sporthallen sollen in der Unterbringungsfrage soweit wie möglich außen vor bleiben, damit Vereins- und Schulsport gewährleistet bleiben, sind sich Hallerbach und Mahlert ebenfalls einig. Allerdings scheint immer schwieriger zu werden, dieses Vorhaben aufrecht erhalten zu können.
Wo kein Wohnraum angemietet werden könne, müssten notfalls weitere Wohncontainer aufgestellt werden, der Schaffung von „Zeltstädten“ erteilen beide eine Absage. „Der Wohnungsmarkt ist völlig überlastet, es gibt ja noch nicht einmal genügend Wohnraum für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger“, warnt Achim Hallerbach vor dem Kollaps.
Mit Blick auf die Gesamtsituation, die nicht zuletzt ebenfalls zu einer stetig wachsenden Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung mit der aktuellen Flüchtlingspolitik geführt hat, ist der Landkreis bestrebt, die bisherige Lage zumindest unter Kontrolle zu halten.
Mittelfristig ruht die Hoffnung der Kreisspitzen allerdings auf einer Beendigung des ungebremsten Flüchtlingsstroms generell. „Dazu bedarf es einer zeitnah abzustimmenden europäischen Migrationspolitik“, plädiert der Landrat vor dem Hintergrund des mangelnden Gleichklangs für die umgehende Ansetzung auch eines europäischen Flüchtlingsgipfels.
Da das deutsche System den größten Anreiz als Flucht-Ziel bilde, setzt sich der Neuwieder Landrat zudem für ein europaweites Moratorium für Sozialleistungen ein. „Wir müssen nicht nur weg von einer zu formalistischen Handhabe auch in den Genehmigungsverfahren, sondern zugleich runter von den Standards hin zu einem einheitlichen Niveau der Sozialleistungen“, fordert Achim Hallerbach, die rein auf das Sozialsystem bezogene Zuwanderung auf den Prüfstand zu stellen. „Auch das sind wir unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern schuldig“.