Delegation aus der Deichstadt beim Expertenaustausch der Bertelsmann Stiftung in Berlin
Die Stadt Neuwied forciert den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen, um die Bildungschancen für alle Kinder zu verbessern und gleichzeitig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken. Im Fokus steht dabei eine gerechte und bedarfsorientierte Umsetzung des ab 2026 geltenden Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung. Das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) besagt nämlich, dass jedes Grundschulkind in Deutschland das Recht hat, auch nach dem Schulschluss gefördert und betreut zu werden.
Um diese zentrale bildungspolitische Herausforderung der kommenden Jahre offensiv anzugehen, befinden sich Neuwieds Bürgermeister Peter Jung und Schulamtsleiterin Sandra Thannhäuser im ständigen Austausch mit den verantwortlichen Stellen beim Land und der Schulaufsichtsbehörde – und mit Expertinnen und Experten der Bertelsmann Stiftung. Auf Einladung der Stiftung stellten Jung und Thannhäuser in Berlin die aktuelle Situation in der Deichstadt – insbesondere mit Blick auf die sozial herausfordernden Stadtteile Innenstadt und Heddesdorf – vor.
Ganztagsbetreuung als Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit in Neuwied
Obwohl der gesetzlich vorgeschriebene Ganztagsausbau alle Kommunen gleichermaßen betrifft, kommt ihm in Neuwied eine ganz besondere Bedeutung zu. Mit einem Kinder- und Jugendarmutsanteil von etwa 20 Prozent liegt die Deichstadt über dem landes- und bundesweiten Durchschnitt. Besonders stark betroffen sind hier die Stadtteile Innenstadt und Heddesdorf. Doch was hat Armut mit dem Ganztagsangebot an Schulen zu tun? Beim Ganztag geht es um viel mehr als nur um Nachmittagsbetreuung – es geht ganz zentral auch um die Bildung. Die Ausgestaltung des Ganztags hat großes Potential, gerade für Kinder in herausfordernden Quartieren formelle und informelle Bildungsangebote zu schaffen. Sie leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Teilhabe, Chancengerechtigkeit und zur sozialen Integration.
Auf Einladung der Bertelsmann Stiftung referierten Neuwieds Bürgermeister Peter Jung (4.v.l.) und Schulamtsleiterin Sandra Thannhäuser (3.v.l.) in Berlin über die Herausforderungen und Chancen beim Ganztagsausbau. Dabei besonders im Fokus: das Thema Bildungsgerechtigkeit für Kinder aus herausfordernden Stadtteilen. Foto: Felix Banaski
Deichstadt dient bei Berliner Expertenkonferenz als Praxisbeispiel
Bildungs- und Chancengerechtigkeit für alle Neuwieder Schulkinder zu schaffen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben von Peter Jung und Sandra Thannhäuser. Mit dem „Neuwieder Weg“ wurde in der Deichstadt deshalb ein ganzheitliches Konzept aufgestellt, um besonders Kinder aus sozial herausfordernden Stadtteilen so zu fördern, dass sie faire Bildungschancen erhalten. Beim Expertenworkshop der Bertelsmann Stiftung in Berlin referierte Jung vor Vertretern aus Wissenschaft, Verwaltung und Politik über die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen beim Ganztagsausbau in der Deichstadt: Von den zwölf städtischen Grundschulen können vier Schulen ihren Schülerinnen und Schülern schon jetzt ein Ganztagsangebot in Form einer „Ganztagsschule in Angebotsform“ machen – an den übrigen Schulen gibt es aktuell Angebote der „Betreuenden Grundschule“. Die Stadtverwaltung ist bereits mit weiteren Schulstandorten im Dialog, um den Ausbau schrittweise voranzubringen. Hierdurch sollen die vorhandenen Ganztagsschulen entlastet und zusätzliche Angebote in anderen Stadtteilen geschaffen werden. Mit dem quantitativen Ausbau der vorhandenen Kapazitäten muss gleichzeitig auch eine qualitative Erweiterung der Angebote einhergehen, um individuell auf die Bedarfe der Schulkinder eingehen zu können. Auch wenn Neuwied als erste und bislang einzige Kinderfreundliche Kommune in Rheinland-Pfalz hier aktiv vorangeht, ergeben sich bei der Umsetzung des Ganztagsausbaus auch in der Deichstadt eine Reihe an Herausforderungen.
Foto: Felix Banaski
Kommunale Herausforderungen und Lösungsansätze
Für die Ganztagsbetreuung werden sowohl geeignete Räumlichkeiten als auch geschultes Fachpersonal benötigt. Dadurch entstehen den Kommunen erhebliche Kosten, die nur durch dauerhafte, am tatsächlichen Bedarf orientierte, Förderungen gedeckt werden können. „Die Realität sieht meistens leider anders aus“, bemängelt Bürgermeister Jung. „Statt nachhaltiger Finanzierungen sind kurzfristige Projektförderungen die Regel – der dauerhafte Anspruch auf Ganztagsbetreuung lässt sich so jedoch nicht gewährleisten.“ Auch eine stärkere Verzahnung von Schulen, Schulsozialarbeit, Startchancen-Programm, Familiengrundschulzentren und Jugendhilfe halten Jung und Thannhäuser für elementar: Nur so werden die Kinder nicht nur beim Lernen, sondern auch bei ihrer sozialen Entwicklung unterstützt. Dass der Ganztag ganz neue Bildungschancen eröffnet, darin sind sich beim Berliner Workshop alle einig, denn: Durch die zusätzliche Zeit am Lernort ist es möglich, neue und praxisnahe Lernformen in den Alltag der Kinder zu integrieren – und so einen echten Mehrwert für sie zu schaffen. Die längere und intensivere Förderung der Kinder lässt zudem Raum für einen intensiveren Austausch mit den Eltern und eine aktive Einbeziehung der Familien in den Bildungsprozess.
Politischer Handlungsbedarf
„Als Kommunen stehen wir in der Verantwortung, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung umzusetzen“, macht Jung deutlich. „Aber dafür brauchen wir auch die richtigen Rahmenbedingungen. Wir brauchen eine verlässliche Finanzierung, die den sozialen Bedarf vor Ort berücksichtigt und keine pauschalen Lösungen. Der Ganztagsausbau wird nur dann gelingen, wenn Bund, Länder und Kommunen sich einig sind und gemeinsam handeln.“ In der Diskussion mit der Bertelsmann Stiftung hat sich für Peter Jung und Sandra Thannhäuser abermals herausgestellt, dass die Kommunen beim Ganztagsausbau vor einer großen Herausforderung stehen – aber auch, dass der Ganztag die reale Chance bietet, echte Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. „Dafür setzen wir uns in Neuwied mit aller Kraft ein“, so ihr gemeinsames Fazit.